Über Menschlichkeit, Flucht und Einsamkeit
Es war eine Radtour an einem Sonntag mit allerbestem Wetter. Der Tag war wunderbar verlaufen. Die Sonne stand bereits recht tief, und ich war auf dem Rückweg nach Kiel. Eigentlich wollte ich einen ganz anderen Weg nehmen, ich hatte mich verfahren und war auf der nördlichen Seite des Rosensees bei Raisdorf gelandet. An einer Halbinsel hielt ich an, um ein paar Photos vom Wald zu machen, der auf beiden Seiten bis an die Schwentine heranreicht. Die Bäume spiegeln sich hier wunderschön im Wasser. An dieser Stelle hat mich "das Leben" dann eingeholt.
Ganz alleine saß dort ein Mann an einen alten Baum gelehnt und spielte Blockflöte. Wir grüßten uns freundlich und kamen ins Gespräch, recht lange. Die Geschichte dieses Mannes ist eine Geschichte für sich. Fast sein ganzes Leben hat dieser Mann in einem Land gelebt, in dem jetzt seit gut 40 Jahren ein brutaler Krieg tobt.
Sein Name ist Younes, und vor kurzem hat er eine Bleibe hier in der Gegend gefunden. In Hamburg hatte Younes an einer längeren Veranstaltung der Vereinten Nationen teilgenommen. Und nun ist er hier gelandet, irgendwie auf dem Abstellgleis, er fühlt sich völlig nutzlos. In seinem Heimatland Afghanistan hat Younes, mit Unterstützung der UN, der Ärzte ohne Grenzen und des Danish Refugee Councils versucht, den zahllosen Kriegsopfern zu helfen. Dazu war sein Bemühen, die einzelnen Kriegsparteien davon zu überzeugen, ihre Waffen niederzulegen und endlich Frieden zu schliessen.
Dafür haben die Taliban ihn eingesperrt, unter brutalsten Bedingungen hat er drei Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht. Wie er sagt, ist er schon rein dafür eingesperrt worden, dass er die englische Sprache beherrscht. Er konnte befreit und von den UN ausser Landes gebracht werden. Wäre er geblieben, vielleicht wäre er nicht mehr am Leben.
Trotzdem wünscht sich Younes nichts sehnlicher, als nach hause zu kommen und dort weiter helfen zu können. Er kennt hier niemanden, seine Deutschkenntnisse sind noch sehr bescheiden. Seine Familie ist weit weg, sie ist im Land geblieben, rund 6.000 Kilometer entfernt. Alleine deswegen hat Younes gewaltiges Heimweh. Er ist sehr dankbar dafür, dass wir ihn aufgenommen haben, und bescheiden und in seiner leisen, höflichen Art bedankt er sich sogar bei mir dafür, der ihn vor ein paar Minuten erst kennengelernt hat.
Man merkt ihm trotz seiner ruhigen Art an, wie es in ihm aussieht. Er ist zwar in Freiheit und am Leben, aber er kommt sich hier nutzlos und überflüssig vor. Ihm sind die Hände fast völlig gebunden, er hat hier keinerlei Aufgabe, als nur abzuwarten, während seine Hilfe zuhause dringend gebraucht wird. Wie es für ihn persönlich weitergeht, Younes weiss es noch nicht. Nur zu oft schimmern Trauer und leise Verzweiflung durch seine Worte. In Afghanistan wäre er auch weiterhin in Lebensgefahr, er steht auf der schwarzen Liste der Taliban. Und so sitzt er am Ufer der Schwentine, bringt Seite um Seite seiner Erlebnisse und Gedanken zu Papier. Und spielt zwischendurch auf seiner Blockflöte, um die Einsamkeit wenigstens für eine kurze Zeit mit ein paar schönen Tönen zu vertreiben.
Ich spreche ihn auf die fremdenfeindlichen Hinterwäldler an, die sich in Deutschland immer mehr breit machen und die jeden Flüchtling am liebsten sofort aus dem Land jagen möchten. Younes guckt nachdenklich. "Die sind wie unsere Taliban," sagt er, "und es tut gut, in Deutschland Menschen zu treffen, die anders sind und die diesen Dummköpfen Einhalt gebieten möchten. Dummheit sollte man entgegentreten, egal wo auf der Welt."
Die Aussichten für sein zerschundenes Land, Younes schweigt und schaut ratlos. In Zeiten, als Afghanistan noch eine Monarchie war, war der König eine Art Integrationsfigur, die die einzelnen Stammesfürsten wenigstens halbwegs unter Kontrolle und zusammen hielt. Seit dem Einmarsch der Sowjets im Dezember 1979 herrscht völlige Anarchie, jeder kämpft gegen jeden. Im Land herrschen nur noch Chaos und unberechenbare Gewalt. Freund und Feind lassen sich nicht immer unterscheiden, die Lage ist völlig unübersichtlich. Dass hinter allem der unbändige Freiheitswille eines wehrhaften Volkes steckt, das sogar schon Alexander den Großen aus dem Land gejagt hat, macht die Lage nicht besser.
Ein gemeinsamer Strang, an dem alle Afghanen ziehen könnten, um wieder ein freies Volk werden zu können, ist nicht mal im Ansatz erkennbar. In Kabul sitzt eine Regierung, die kaum Kontrolle über ihre eigene Hauptstadt hat. Die jeweils Regierenden sind ein Spielball der Großmächte, die im Land nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Angesichts der mittelalterlich und dogmatisch denkenden Taliban muss aber auch darüber nachgedacht werden, ob der Einsatz der Bundeswehr und anderer Truppen nicht doch Sinn macht. Obwohl die westlichen Staaten die "Mudschahedin" durch ihre Politik überhaupt erst stark gemacht haben. Und nun ihre eigene Suppe auslöffeln müssen.
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